Stellungnahme des Mainzer Altertumsvereins zur Situation der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek Mainz

Mainz, Anfang Dezember 2011

Sehr geehrte Damen und Herren, werte Mitglieder des Mainzer Altertumsvereins und Freunde der Mainzer Stadtbibliothek,

mehrfach sind an den Vorstand des Vereins der Wunsch und die Erwartung herangetragen worden, er möge sich in besonderer Weise in die Debatte um die befürchtete Zerschlagung der Mainzer Stadtbibliothek einbringen. Auf unserer Jahresmitgliederversammlung am 25. Oktober 2011 gab es zwei entsprechende Wortmeldungen, es gab auch die eine oder andere email und direkte Ansprache in diesem Sinne an einzelne Mitglieder des Vorstands. Erinnert wurde dabei mehrheitlich an die Verdienste und den Mut des MAV in früheren Jahrzehnten, als es teilweise explizit seinem Eintreten gegen die Abtragung und Wegräumung wertvoller historischer Bausubstanz im Mainzer Stadtkern zu verdanken war, daß die Stadtspitze in dem einen oder anderen prominenten Fall schließlich einlenkte und die Bauten erhalten blieben.

Der Mainzer Altertumsverein darf heute noch stolz darauf sein, hier Schlimmes verhindert zu haben. Es ist auch keineswegs fehlende Courage, die den heutigen Vereinsvorstand bisher darin geleitet hat, in der aktuellen Bedrohungslage der wissenschaftlichen Stadtbibliothek nicht die Öffentlichkeit gesucht, sondern zunächst seine anderweitigen Möglichkeiten eines stillen Wirkens eingesetzt zu haben – leider bislang ohne sichtbaren Erfolg.

Daß der Mainzer Altertumsverein mit der wissenschaftlichen Stadtbibliothek auf das Engste verbunden ist, bedarf nicht ernsthaft einer Beweisführung. Seit seiner Gründung im Jahr 1844 sammelt der Verein vor allem über den Tausch seiner Vereinszeitschriften landesgeschichtliche Literatur in bedeutendem Umfang (immer schon ergänzt um wertvolle Schenkungen durch einzelne Mitglieder). Die große Bibliothek des Altertumsvereins ist längst in den Besitz der Stadtbibliothek überführt worden; der gewaltige Umfang dieser Teilbibliothek ist anhand der Signaturengruppe „AV“ (für Altertums-Verein) noch unmittelbar nachvollziehbar. Und der Mainzer Altertumsverein trägt bis zum heutigen Tag alljährlich in einem hohen Maße zur Entlastung des Ankaufsetats der Stadtbibliothek bei, indem er seit jeher eine beachtliche Exemplarmenge der „Mainzer Zeitschrift“ der Stadtbibliothek kostenfrei für ihren Schriftentausch zur Verfügung stellt. Es ist demnach auch die Benutzbarkeit der integrierten „eigenen“ 

Buchbestände gefährdet, wenn nun die wissenschaftliche Stadtbibliothek durch die Sparbeschlüsse der im Mainzer Stadtrat regierenden Ampelkoalition massiv unter Druck gerät.

Die von der Mainzer Bibliotheksgesellschaft ins Internet gestellte Petition versammelt in ihrer beeindruckenden Fülle von mehr als 5.000 Unterzeichnern aus Mainz und seinem Umland, ganz Deutschland und vielen anderen Ländern in Nah und Fern ein breites Spektrum wichtiger Argumente für die Erhaltung der Mainzer Stadtbibliothek. Leider droht diesen guten Argumenten nun, von den Mainzer Stadtratsmitgliedern möglicherweise nicht mehr angemessen zur Kenntnis genommen zu werden. Die Petition namens Der Bestand der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek darf nicht zerschlagen werden! hat ihre wichtigste Forderung erreicht, die befürchtete Auseinanderreißung der Bibliotheksbestände scheint „vom Tisch“ zu sein.

Vor diesem Hintergrund erscheinen nun die angekündigten Personal- und Sachmittelkürzungen weniger schlimm, dabei liegt der eigentliche Skandal jetzt erst offen zu Tage! Die Stadt Mainz läßt die Bibliothek quasi verhungern. Viele Dienstleistungen werden womöglich in einigen Jahren oder sogar schon viel eher nicht mehr erbracht werden können:

 

  • die Ausleihe von Büchern generell (zu befürchtende Umwandlung in eine reine Präsenzbibliothek)
  • ein- und ausgehende Fernleihen (dann würden insbesondere die eigenen einmaligen Sammlungsbestände deutlich weniger genutzt werden können und das Thema Mainz verschwindet aus Forschungszusammenhängen
  • die Beratung, Hilfe und Anleitung bei der Lektüresuche (ein falsches Signal im Informationsdschungel der heutigen Mediengesellschaft)die notwendige weitere Pflege und Erschließungsarbeit der eigenen Bestände (ohne eine solche büßt eine Bibliothek unweigerlich an Wert ein)
  • die Vorhaltung und Pflege der Titeldaten im bibliothekarischen Verbundsystem HeBIS (in schlimmster Konsequenz könnte sich die Stadtbibliothek gezwungen sehen sich aus ihrem Verbundsystem auszuklinken, was einem „sich-selbst-abschalten“ gleichkäme. Der alte Karteikasten-Katalog ist längst abgebaut worden. Wenn die Nutzer erst einmal nicht mehr recherchieren können, was es an Beständen überhaupt gibt, bleiben die Bücher unbenutzt.)
  • übergeordnete bibliographische Dienstleistungen (das Schrifttum über Mainz und Rheinhessen würde evtl. nicht mehr systematisch und vollständig erfaßt werden)
  • Gefährdung des Status als Regionalbibliothek (bei dessen Verlust die Bibliothek die Pflichtexemplar-Ablieferungen der Verlage einbüßen würde)
  • mögliche rechtliche Anfechtungen in Bezug auf bereits erfolgte Schenkungen und Legate sowie Pflichtexemplar-Ablieferungen
  • Wegfall von Führungen, Vorträgen, Ausstellungen, Bearbeitung von Nutzeranfragen etc. (überhaupt von all dem, was in summa eine lebendige Bibliothek auch noch ausmacht)

Wenn der Anschaffungsetat so drastisch wie vorgesehen beschnitten wird, bedeutet dies, daß der praktische Gebrauchswert der wissenschaftlichen Stadtbibliothek erheblich gemindert wird und die Bibliothek in wenigen Jahren ausblutet. Die Stadt stiehlt sich hierbei aus ihrer Verantwortung, denn eine über einen sehr langen Zeitraum gepflegte „freiwillige Leistung“ dürfte längst zur (zumindest moralisch einklagbaren) „Selbstverpflichtung der Verwaltung“ geworden sein.

Die Stadt Mainz verspielt ihren Kredit als Medienstadt, als Gutenberg-Stadt, als Stadt der Wissenschaft. Sie wird als Studienort unattraktiver, sie wird zu recht des Provinzialismus geziehen werden. Wer einen derart kostbaren Schatz wie die Mainzer wissenschaftliche Stadtbibliothek preisgibt, ist ein schlechter Sachwalter der Interessen und Bedürfnisse einer Bürgerschaft. Das Kaputtsparen ist durch nichts zu rechtfertigen. – Leider werden die Kommunalpolitiker die drastischen Kürzungen zu Lasten der Stadtbibliothek aber auch noch als Achtungs- oder Verhandlungserfolg verkaufen können, weil der breite Protest sich auf das Gleisbett einer auf jeden Fall zu verhindernden (und nun ja erreichten) Zerschlagung der Stadtbibliothek als wichtigster Forderung hat locken lassen.

Der Vorstand des Mainzer Altertumsvereins hat keinen Moment die Schutzwürdigkeit der wissenschaftlichen Stadtbibliothek in Frage gestellt, und er möchte sich auch nach einem entsprechenden Sparbeschluß, wie er am 14. Dezember vermutlich (leider) gefaßt werden wird, für eine mittelfristige Kurskorrektur zugunsten der Stadtbibliothek einsetzen. Ihre Bücher sollen auch weiterhin recherchiert, gefunden, benutzt, gelesen und ausgeliehen werden können! Die Spezialsammelgebiete sollen auch weiterhin gepflegt, durch nötige Anschaffungen ergänzt, ausgebaut, erschlossen und bibliographisch erfaßt werden! Der am Medium Buch und der Kulturtechnik des Lesens interessierte und festhaltende Mensch aller Alters-, Sozial- und Berufsgruppen soll in der Gutenbergstadt Mainz auch künftig dieses wichtigste Schatzhaus von über fünfhundert Jahren Mainzer Geschichte und Kultur regelmäßig und selbstverständlich aufsuchen können!

Der Vereinsvorstand wird sich über den Tag hinaus für die Stadtbibliothek einsetzen und die maßgeblichen Entscheidungsträger auch in Zukunft mit diesem Thema konfrontieren. Als erster Schritt hierzu wurde dieses Schreiben in originalen Ausfertigungen der Kulturdezernentin sowie den Mitgliedern des Kulturausschusses im Mainzer Stadtrat rechtzeitig vor der für die Sparbeschlüsse-Fassung maßgeblichen Stadtratssitzung am 14. Dezember 2011 zugeleitet.

Mit freundlichen Grüßen

 

Günther Knödler                                                                   Dr. Franz Stephan Pelgen

Vorsitzender                                                                         stellvertretender Vorsitzender